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Spielmann-Opa gestorben: Das war Rostocks berühmtester Straßenmusiker

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Teufelsgeige und Akkordeon haben ihn berühmt gemacht: Der Straßenmusiker Michael Tryanowski gehörte zum Rostocker Stadtbild. In der vergangenen Woche ist er im Alter von 98 Jahren gestorben. Wir blicken auf sein bewegtes Leben zurück.

Foto: Ove Arscholl

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Rostock verliert mit seinem Tod eines seiner Originale. Für die Hansestadt war Tryanowski ein lebendes Wahrzeichen – so bekannt wie der Warnemünder Leuchtturm oder das Rathaus. Ein Original, sympathischer Werbeträger und Ikone zugleich. Seit Jahrzehnten hatte Tryanowski Musik in der Hansestadt gemacht – bis zu zehn Stunden am Tag, bei jedem Wetter.

In aller Welt sei er berühmt, sagte sein Sohn Frank Kraschewski, der früher mit dem Vater zusammen musiziert hat. „Aus Australien und Kanada haben wir Postkarten erhalten. Und seit der Wende hat er vor jedem Bundeskanzler gespielt.“

Foto: Carolin Hamann

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Seinen letzten großen Auftritt hatte Tryanowski beim offiziellen Festakt zum 800. Rostocker Stadtgeburtstag im Juni 2018 in der Stadthalle. Dort wurde er besonders gewürdigt: Die Band „Karat“ und sieben Orchester spielten zu seinen Ehren den Kultsong „Albatros“. Tryanowski verfolgte den Auftritt als Zuhörer im Publikum.

Foto: Ove Arscholl

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Zu den beiden großen Rostocker Jubiläen – 800 Jahre Hansestadt und 600 Jahre Uni – gestaltete der Rostocker Künstler Christoph Kadur eine Jubiläumsstraßenbahn. Neben dem Stadthafen und dem Rathaus ist auch Michael Tryanowski auf der Bahn zu sehen. Als mobiler Botschafter wird sie die nächsten zwei Jahre in Rostock unterwegs sein
und dabei täglich im Schnitt 250 Kilometer zurücklegen.

Foto: Bernd Wüstneck / dpa

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Michael Tryanowski durfte sich Ende 2014 zusammen mit dem Rap-Musiker Marten Laciny alias Marteria ins Ehrenbuch der Hansestadt Rostock eintragen. Das Rathaus begründete die Entscheidung, dass damit zwei außergewöhnliche Menschen geehrt würden, die als musikalische Botschafter beide in unterschiedlicher Art und Weise das Bild von Rostock prägen und damit Werbung für die Stadt machen.

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Natürlich durfte Michael Tryanowski auch beim Video von Marterias „ Mein Rostock“ nicht fehlen. In dem Stück von 2014 ist er ab Minute 2:11 für einige Sekunden zu sehen.

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„Das wohl kleinste Denkmal Mitteleuropas“ nannten die Initiatoren der Aktion, der Bildhauer Wolfgang Friedrich und die Unternehmer Michael Höppner, Rene Geschke und Dieter Osterthun, die nur 32 Zentimeter hohe Bronzeplastik, die seit August 2014 in der Einkaufspassage Rostocker Hof zu sehen ist.

Der Musiker selbst war anfangs skeptisch über das Vorhaben. Ihm gefalle es eben, wenn er draußen in der Kröpeliner Straße spielt und Zuhörer findet.

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Der Bildhauer Wolfgang Friedrich stellte seine Arbeit 2015 im Rahmen der Kinder-Universität in Rostock vor. Dabei sprach er auch über die Tryanowski-Skulptur. Die Augen der Kinder wurden groß, als plötzlich die Figur als lebendes Objekt hereinkam: Tryanowski gab auf seinem Akkordeon ein Ständchen. Die Knirpse bejubeln ihn minutenlang und feierten die tolle Überraschung.

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Der Rostocker kam auch als Motiv auf T-Shirts, Taschen oder Tassen groß raus. Die Rostocker Firma „Onelove“ verewigte den Michael Tryanowski 2014 in ihrer Kollektion. Ex-Hansa-Kicker Stefan Beinlich (r.), der als Model für die Marke auftritt, zeigte das Motiv mit Stolz: „Ich finde das Shirt mit dem Motiv von Spielmann-Opa cool“, sagte Beinlich. Auf die Idee kam Unternehmer David Grabarczyk beim Videodreh von Marteria.

Foto: Frank Söllner

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„Die Musik hält ihn jung“

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Michael Tryanowski als etwa zehnjähriger Schüler. Schon damals war er musikbegeistert. Foto: privat
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Auszüge aus dem Porträt von Claudia Tupeit, erschienen zum 90. Geburtstag von Tryanowski am 12. Dezember 2009 in der OSTSEE-ZEITUNG

Mit seiner Seemannsmütze sieht er aus wie ein Kapitän. Aber weit gefehlt! Michael Tryanowski, den seine Freunde „Mischa“ nennen, liebte zwar die See, war aber gelernter Musiker. Ob dieses Talent in den Genen liegt, kann er nicht sagen. Denn von seiner Mutter weiß er wenig, von seinem Vater gar nichts.

Geboren 1919 in Veelböken bei Schwerin, wuchs er als uneheliches Kind zunächst bei seiner Mutter auf. „Sie stammt wahrscheinlich aus Polen, vielleicht auch aus Österreich, das ist nicht so ganz geklärt.“ Mit vier Jahren verlor er seine Mutter; sie verbrannte in einer Scheune. Der Pflegevater, ein Russe, habe über sie stets geschwiegen, sagt Tryanowski. „Warum, weiß ich auch nicht.“

Die Schule besuchte er in Bad Kleinen. Sein Pflegevater schenkte ihm seine erste Harmonika. „Ich übte so lange, bis ich es hinbekam. Auf Russisch forderte mich mein Vater oft auf, ein Lied zu spielen.“ Im Zweiten Weltkrieg sei er als Forstarbeiter „zwangsrekrutiert“ worden, erzählt Tryanowski. Und als er dachte, es könne nicht schlimmer kommen, sollte er ins Konzentrationslager. Vermutlich aufgrund seiner Abstammung. „Aber dann war der Krieg zu Ende, das rettete mir das Leben.“

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Michael Tryanowski als etwa zehnjähriger Schüler. Schon damals war er musikbegeistert. Foto: privat
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Rostocks bekanntester Straßenmusikant bei einem Auftritt vor dem „Cafe am Strom" während der Hanse Sail 1991 in Warnemünde. Foto Hartmut Klonowski
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Das Musikerhandwerk lernte er von 1950 bis 1953 am Schweriner Konservatorium. „Abteilung Volksmusik“, wie er stolz betont. Dort habe er Akkordeon, Saxophon, Flöte und Schlagzeug spielen gelernt. Seine zweite große Leidenschaft ist Sport. Und zwar einer, den man dem schmalen, kleinen Mann kaum zutraut: „In den 50er Jahren war ich dreimal Landesmeister von Mecklenburg-Vorpommern im Gewichtheben.“ Heutzutage mache er nur noch ein bisschen Gymnastik zu Hause, das sich mittlerweile beim Sohn in der Hansestadt befindet.

Verheiratet war er nie. „Ich hatte mal eine Verlobte, aber die ist mir in den Westen abgehauen“, erzählt der 90-Jährige. Früher ist Michael Tryanowski mit seinen Instrumenten ständig auf Reisen gewesen. Wismar, Lübeck, Hamburg, Berlin. Selbst mit dem bekannten „Zirkus Probst“ ging er auf Tour. Sein Geld verdiente er hauptsächlich als Musikant auf Hochzeiten, bei Geburtstagen oder in Tanzkapellen.

Nach einer Magenoperation in den 70ern wurde er Invalidenrentner. Das Gerücht, er sei Millionär, weist er vehement zurück. „Das hat vor ein paar Jahren ein Losverkäufer in die Welt gesetzt. Der stand neben mir und war neidisch auf die Leute, die mir Geld gaben. Und so sagte er einfach ,Gebt dem nichts, der ist Millionär.‘ Und das blöde Gerücht hält sich bis heute“, erklärt er ein wenig erbost.

„Nur so zum Spaß“ spiele er heute - allerdings fast nur noch in Rostocks Innenstadt und am Alten Strom in Warnemünde. Durch die tägliche Unterhaltung für Passanten bleibe er fit, sagt Tryanowski.


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Rostocks bekanntester Straßenmusikant bei einem Auftritt vor dem „Cafe am Strom" während der Hanse Sail 1991 in Warnemünde. Foto Hartmut Klonowski
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„Michael ist in seinem Leben viel enttäuscht worden“, sagt sein Freund Dieter Osterthun. „Er war immer fleißig, aber auch stets vorsichtig und zurückhaltend.“ Erst wenn er jemanden näher kennenlernt hatte, wurde er offener.

Aber genau diese Eigenschaft soll ja typisch für die echten Rostocker sein. „Vielleicht hängt das aber auch damit zusammen, dass mein Vater oft angeeckt ist – auch bei der Obrigkeit“, sagt Tryanowskis Sohn Frank Kraschewski.

Foto: Ove Arscholl

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Im Dritten Reich brachte ihm dieses Anecken das Arbeitslager ein, auch zu DDR-Zeiten war seine Straßenmusik vielerorts nicht gerne gesehen. Tryanowski ließ sich aber nicht verbiegen: „Er war Zeit seines Lebens staatenlos, besaß keine Staatsbürgerschaft“, so sein Sohn. Er wollte weder Bürger von Hitlers Reich, noch der DDR sein. Auch nicht der Bundesrepublik. „Er hat immer gesagt, er ist ein Erdenbürger. Staaten seien von Menschen gemacht. Er war halt ein bunter Vogel“, sagt Kraschewski.

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Oberbürgermeister Roland Methling (parteilos) bezeichnete Tryanowski als einen Rostocker Kennewarden. Der alte Begriff meint so viel wie „Wahrzeichen“. „Generationen von Rostockern und Gästen hat er mit seiner Musik tagtäglich große Freude bereitet und war auch außerhalb Rostocks ein wichtiger Botschafter für unsere Stadt. Michael Tryanowski, unseren ,Spielmann-Opi’, musste man einfach gern haben!“, so Methling.

Foto: Kristina Becker

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„Michael war ein Original, wie es sie heute nicht mehr oft gibt“, sagt sein Freund, Bildhauer Wolfgang Friedrich. Er kennt Tryanowskis liebstes Lied: „So ein Tag, so wunderschön wie heute“. Ein Titel, der wie kein zweiter für Tryanowskis lebensbejahende Art steht.

Foto: Andreas Ebel

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„Andere alte Menschen kränkeln und mosern, ich habe meine Musik als Ansporn“, sagte Michael Tryanowski im Jahr 2009 der OZ. Er wolle noch viele Jahre mit Akkordeon und Teufelsgeige auf sich aufmerksam machen. „Wenn der da oben es zulässt“, meinte er augenzwinkernd.

Foto: Claudia Tupeit

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