Eine dicke Scheibe Schiff So entsteht die „Aidanova“
Im niedersächsischen Papenburg wächst die „Aidanova“ in die Höhe. Es wird der erste Kreuzliner einer neuen Generation. Wir zeigen Ihnen, wie der Ozeanriese entsteht.
Mehr Hochhaus als Schiff
Ein ungewöhnlicher Anblick empfängt Touristen, die im Reisebus auf der Meyer Werft in Papenburg eintreffen. Ein eigentümlicher Bau ragt direkt am Besucherzentrum in den wolkenverhangenen Himmel: 19 Etagen hat der „Turm“, ist mehr Hochhaus als Schiff.
Balkons sind mit Folie verhüllt, andere Bereiche durch Holzverkleidungen geschützt. Im unteren Teil ist unübersehbar: Noch ist viel zu tun, bis aus dem unansehnlichen Block ein weißer Schwan wird - mit rotem Kussmund und verführerischem Augenaufschlag: die „Aidanova“, ein besonderes Schiff.
Eine Scheibe Schiff
Was im Werfthafen jetzt davon zu sehen ist, wirkt wie eine dicke Scheibe vom Schiff, senkrecht abgeschnitten. Denn Kreuzliner werden heute nicht mehr im Ganzen gebaut. Sie entstehen in Block-Bauweise, parallel an mehreren Standorten.
„Das macht uns so effektiv“, sagt Werftsprecher Peter Hackmann. Nur so könne sich der seit mehr als 200 Jahren bestehende Familienbetrieb am hart umkämpften Markt behaupten. „Früher haben wir in zwei Jahren ein Schiff gebaut, heute zwei in einem Jahr und doppelt so groß.“
Neue Generation von Kreuzlinern
Der 13. Spross der Aida-Flotte ist weltweit der erste Kreuzliner, der auf See und im Hafen mit emissionsarmem Flüssiggas (LNG) betrieben werden soll.
Der große Vorteil von Erdgas gegenüber Schweröl und Marinediesel? LNG (Liquefied Natural Gas) ist deutlich
schadstoffärmer. Die Schiffe blasen nur noch 1,5 Prozent der bisherigen
Rußmengen in die Luft. Der Ausstoß von Stickoxiden wird um 85
Prozent verringert, der von Schwefel-Abgasen sogar um fast 99 Prozent.
Im Schiffsrumpf befinden sich drei Gastanks, in denen
4000 Kubikmeter LNG
bei -162 Grad gebunkert werden.
Das reicht in der Regel für eine zweiwöchige Kreuzfahrt
Gastanks und Motoren kommen aus Rostock
Das
„
Fundament
“
für die „Aidanova“ wurde vor etwa einem Jahr in Mecklenburg-Vorpommern gelegt. In Rostock-Warnemünde fertigte die Neptun Werft das Maschinenraum-Modul. Die vier Dual-Fuel-Motoren lieferte die Rostocker Caterpillar GmbH.
Ein solcher Ozeanriese sei ein Puzzle aus mehr als 15 Millionen Teilen, meint der Papenburger Werftsprecher Hackmann. So viele Teile stünden jedenfalls in den Bestelllisten.
Von Warnemünde an die Ems
120 Meter lang, 42 Meter breit, drei Decks hoch: Als optisch recht unspektakuläres Flachteil verließ das Maschinenraum-Modul Ende September 2017 die Warnemünder Neptun Werft.
Schlepper zogen die Sektion mit fünf bis sechs Knoten, also etwa zehn Kilometern pro Stunde, über Ost- und Nordsee an die Ems. Wenige Monate später folgte das mit LNG-Tanks ausgestattete Schwimmteil auf gleichem Wege nach Papenburg.
Puzzle aus 15 Millionen Einzelteilen
Die Rostocker Reederei Aida Cruises hat den Bau der „Aidanova“ dokumentiert. Hier das beeindruckende Zeitraffer-Video.
250 Kilometer Rohre pro Schiff
Besonders stolz ist die Meyer Werft auf das eigene Rohrzentrum. Im Jahr 2010 entschied sich die Werftleitung, Rohre selbst herzustellen und damit nicht mehr von Zulieferern abhängig zu sein.
In dem Zentrum entstehen jährlich hunderte Kilometer von speziellen Kabelsträngen, Wasser- und Belüftungsrohren. Durch den Einsatz von Schweißrobotern gehört die Rohrwerkstatt heute zu den modernsten der Welt. Die Maschinen können Rohre mit einem
Durchmesser von 25 bis 200 Millimeter vollautomatisch biegen und schweißen.
Per Aufzug an Bord
Im Werfthafen bringen Aufzüge pausenlos Arbeiter an Bord, die dort mit dem Innenausbau alle Hände voll zu tun haben. Überall werden noch Kabel verlegt, Rohre verbunden, Isolierung angebracht.
Innenausbau geht voran
Kabelsalat auf Deck 9: Noch ist beim Innenausbau viel zu
tun, geplant sind hier Kabinen mit Wintergärten.
Aktuell bringen die Arbeiter die Isolierung an Wänden und Decken an. Sie schützt nicht nur vor Temperaturunterschieden, sondern auch vor dem Lärm der Schiffsmaschinen.
Kabinen-Boxen vorgefertigt
Auf den Decks 4 und 5 werden schon Kabinen eingebaut.
Etwa 50 Kabinen sind bereits montiert. 2626 werden es einmal sein,
mit Platz für mehr als 6000 Passagiere. 80 Prozent der Kabinen-Boxen
werden an Land vorgefertigt, samt vollständigem „Innenleben“.
Vom Wasserhahn bis zum Garderobenhaken
Aida-Neubau-Chef Fahle öffnet eine Kabinentür und überzeugt sich: Es ist alles da - vom Teppich bis zum Bild an der Wand, vom Wasserhahn bis zum Garderobenhaken.
Der Zeitplan ist eng
In dem mehr als 500 Meter langen überdachten Baudock, einem der größten der Welt, wächst inzwischen in
rasantem Tempo auch das zweite aus Warnemünde eingetroffene
Schiffsrumpf-Modul in die Höhe.
Deck 9 ist bereits erreicht. Das in der
Schiffsmitte über drei Decks reichende Theatrium wurde Mitte Januar
eingesetzt. Im Februar soll das Vorderschiff mit dem noch im Werfthafen liegenden Hinterschiff in der Halle verbunden werden. „Wir liegen in der Zeit, aber der
Zeitplan ist eng“, meint Werftsprecher Hackmann.
Ohne Schornstein über die Ems
Im Sommer wird die „Aidanova“ ihren schicken Außenanstrich erhalten. Ende
September soll das Schiff dann die Werft verlassen - über die Ems ins
niederländische Eemshaven, wo letzte Arbeiten zu erledigen sind.
„Der Schornstein und der Einstieg zur Wasserrutsche müssen später
aufgesetzt werden“, sagt Projektleiter Fahle. Sonst würde das Schiff wegen seiner Höhe nicht unter der Hochspannungsleitung durchkommen.
Acht Schwestern
Insgesamt lässt der Aida-Mutterkonzern Carnival Corporation acht LNG-Kreuzliner dieser Größe bei der
Meyer-Gruppe bauen. Auch Costa
Crociere, Carnival Cruise Lines und
P&O Cruises Großbritannien erhalten LNG-Schiffe aus Papenburg und
Turku (Finnland).
Auch andere Reedereien sind an Ozeanriesen aus Niedersachsen
interessiert. Die Traditionsfirma aus dem Emsland hat bis 2022 zwölf Kreuzliner in den Auftragsbüchern stehen, etwa für Norwegian Cruise Line, Royal Caribbean und Disney Cruise Line. Werftsprecher Hackmann freut das: „Wir haben gut zu tun.“
Familienunternehmen in siebter Generation
222 Jahre alt wurde die Meyer Werft in Papenburg (Niedersachsen) im Jahr 2017. Das 1795 gegründete Unternehmen wird in 7. Generation als Familienunternehmen geführt. Anfangs wurden Holzschiffe gebaut, seit 1872 Eisenschiffe mit Dampfmaschinen.
Neben Frachtern, Fähren und Tankern konzentriert sich die Firma seit den 1980ern auf Kreuzliner. Zur Meyer-Gruppe gehören die Neptun Werft Warnemünde sowie Meyer Turku (Finnland).
3400 Mitarbeiter sind in Papenburg beschäftigt, außerdem rund 550 in Warnemünde und 1500 in Turku. Rund 300 000 Gäste, die den Bau der Ozeanriesen hautnah erleben möchten, begrüßt der Betrieb pro Jahr in seinem Besucherzentrum.