Kampfansage! Diese Rostocker Tänzer nehmen es jetzt mit der Welt auf „Royal Flush“ gegen den Rest der Welt: Die Hiphop-Tanzgruppe aus Rostock tritt am 5. Mai zum ersten Mal bei der Weltmeisterschaft im Streetdance an. Neun Monate Vorbereitung für drei Minuten und neun Sekunden Auftritt: Die Nerven von 14 Tänzern liegen blank.
Fotos, Text und Videos: Karolin Hebben
Zu einer spannenden Show gehört fliegen und schauspielen
Am Morgen drücken sie die Schulbank, am Nachmittag werden sie zu jungen Beyoncés und Jason Derulos: Zwischen 15 und 20 Jahre alt sind die Tänzer rund um die Trainer Christopher Ressel (27) und Jessica Daboer (23).
Die Show, mit der sie antreten, wird seit neun Monaten geübt. In nur drei Minuten und neun Sekunden zeigt die Gruppe ein immenses Repertoire: Mädchen werden durch die Luft geworfen, im nächsten Moment liegen sie im Spagat auf dem Boden. Ausnahmetalent Sabine Wolf (16) verwandelt sich mal eben mit Kostümwechsel in die Kinderserien-Figur „Kim Possible“ und kämpft gegen vermummte Verbrecher.
Fußballer bekommen schulfrei, Tänzer werden nicht ernst genommen
Für Meisterschaften nimmt die Gruppe lange Wege und hohe Kosten auf sich. „In MV wird Tanzen nicht so ernst genommen wie in Hamburg oder Berlin“, so Lea Marie Schäwel (16). „In meiner Klasse sind Hansa-Spieler, die auch mal für eine Woche Trainingslager schulfrei bekommen“, erzählt Julia Preuße (17). Schule geht bei den Tänzern immer vor. Trotzdem wünschen sie sich weniger Menschen, die ihnen sagen, Tanzen sei kein Sport.
Dass 8 Tänzerinnen in einem halben Jahr einen Spagat gelernt haben, Wochenenden für Auftritte und Meisterschaften geopfert und Team- und Kritikfähigkeit sowie Ehrgeiz geschult werden, beweist das Gegenteil.
„Seitdem ich hier tanze, lebe ich in einer neuen Welt“
Erfolg verzeichnet die Gruppe nicht nur durch hartes Training. Das Rezept von „Royal Flush“: einander blind vertrauen und mit dem Herzen dabei sein. Allein vortanzen? In dem Alter nicht für alle einfach. Tänzerin Anna Kopplin (16) erzählt: „Als ich jünger war, habe ich kaum geredet. Seitdem ich hier tanze, lebe ich in einer neuen Welt und bin selbstbewusst geworden.“
Eine Choreographie für eine Freundin
Von „grauen Mäuschen“ sind so auch Julia Preuße (17) und Lea Marie Schäwel (16) zu starken jungen Frauen geworden. „Früher habe ich aus Frust gegessen, heute lasse ich Emotionen beim Training raus“, so Schäwel. Auch Trainerin Jessica Daborer verarbeitet so ihre Emotionen: „Ich habe mal eine Choreographie für eine Freundin gemacht, die weggezogen ist. Ich war traurig und entsprechend gefühlvoll war die Choreo.“ Als Royal Flush sie zum ersten Mal tanzt, fließen Tränen.
Der etwas andere Nebenjob
Der etwas andere Nebenjob
Die Trainer im Interview
Bankkaufmann Christopher Ressel (27) und Studentin Jessica Daborer (23) haben sich das Trainer-Dasein selbst beigebracht. Im Interview erzählen sie von einem Nebenjob, mit dem herkömmliche Studentenjobs nicht mithalten können.
OZ: Wie viele Stunden in der Woche investiert ihr in die Tanzgruppe?
Ressel: Ungefähr zehn Stunden.
Daborer: Ich benötige für die Vorbereitungen zwischen 15 und 18 Stunden.
Was sind eure Aufgaben als Trainer?
Ressel: Zuerst ist es natürlich unsere Aufgabe, Choreographien zu erarbeiten. Wir bringen die Choreos bei und üben sie manchmal fast ein Jahr lang. Wir leiten die Trainings – dazu gehören fachgerechtes Aufwärmen, Fitness- und Technikübungen und sogar Mimik. Für Auftritte planen wir Aufstellungen mit häufigen Bildwechseln, Akrobatik und die passenden Outfits. Ich schneide die Lieder zu einer Show zusammen, die die Längenvorgaben der jeweiligen Meisterschaften erfüllt.
Daborer: Wir koordinieren und planen Auftritte, Meisterschaften, Workshoptage und auch mal freizeitliche Aktivitäten für das Teambuilding. Außerdem ist es natürlich unsere Aufgabe, ein offenes Ohr zu haben, die Tänzer zu motivieren und sie auch individuell zu fördern – jeder hat andere Stärken und Schwächen, sodass wir zum Teil sogar auch mal ein Einzeltraining machen. Ich würde sagen, dass wir beim Tanzen eine Art Mutter- und Vaterrolle haben. Da wir ja auch eine Vorbildfunktion innehaben, geben wir unser Bestes, während der Trainingszeit auch unsere pädagogische Funktion gut zu erfüllen.
Wir veranstalten regelmäßig Elternabende, weil viele unserer Tänzer noch minderjährig sind. Die Eltern unterstützen und begleiten uns so oft sie können.
Wie werden Outfits, Fahrten und sonstige Kosten bezahlt?
Daborer: Das meiste davon tragen die Eltern und die Tanzschule unterstützt uns, wo sie kann. Seltener verdienen wir mit einem Auftritt Geld, mit dem wir dann mal den Bus zu einer Meisterschaft bezahlen und die Eltern entlasten können. In Städten wie Hamburg oder Berlin gibt es viele Sponsoren – hier wird das Tanzen noch nicht so richtig als ernsthafter Sport wahrgenommen. Deshalb treten wir jetzt auch bei einer offenen Weltmeisterschaft an: Wir könnten uns die Vorqualifikationen in verschiedenen Ländern für andere gar nicht leisten.
Habt ihr neben eurem Beruf noch weitere Ziele als Tänzer – vielleicht mal eine eigene Tanzschule zu eröffnen?
Ressel: Ziel ist es, mal einen Status zu haben, mit dem man regelmäßig für Workshops gebucht wird. Einmal ist das bisher schon passiert. Ich würde selbst keine Tanzschule aufmachen, aber ich würde gern weiter in einer arbeiten – gerne auch in der Buchhaltung.
Daborer: Viel lieber als eine Tanzschule zu leiten würde ich gern Tanzcamps und Wettkämpfe hier in Rostock organisieren. Aber auch ich möchte gern mal dahinkommen, häufig Workshops zu geben. Wir laden selbst oft Profis aus ganz Deutschland zu uns ein, damit unsere Schüler über den Tellerrand schauen können.
Promi-Besuch in der Tanzschule
Royal Flush ist der ganze Stolz der Tanzschul-Inhaber Rafael Murtasin (54) und Elena Murtasina (55). Erfolgreich ist auch deren Tochter: Regina Luca (29) tanzt derzeit in der RTL–Show „Let’s Dance“ mit Fernsehmoderator Thomas Hermanns. Auch ihr Mann, Sergiu Luca, war in der aktuellen Staffel als Profitänzer mit dabei. Für die Tänzer richtige Vorbilder – demententsprechend groß ist die Freude, als das Paar die Gruppe einen Tag nach der fünften Folge beim Training überrascht.
„Nicht letzter werden”
Diese offene Weltmeisterschaft muss es sein, denn für die Vorqualifikationen anderer im Ausland reicht das Geld nicht aus. „Das Ziel ist, nicht letzter zu werden“, nimmt sich Trainer Ressel bescheiden vor. Eine Welt erobere man auch nicht gleich beim ersten Versuch. Die Hauptsache, so Ressel: 14 Tänzer geben drei Minuten und neun Sekunden lang ihr Bestes und sind stolz auf ihre Leistung.