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GNTM-Magerwahn: Diese Mädels aus MV sind dagegen

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Foto: Javier Rojas

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„Hallo, meine Meeedchen“, quietscht es derzeit wieder donnerstags aus deutschen Fernsehgeräten. Heidi Klums Germanys Next Topmodel (GNTM) fährt in der 13. Staffel wieder Mega-Marktanteile ein.

Über die Topmodel-Geldmaschine rollt allerdings eine Protestlawine durchs Netz. #NotHeidisGirl: Unter diesem Hashtag feiern sich Mädchen, die eben keine „Meeedchen“ sein wollen, weil sie gern Pasta essen und ihr Köpfchen statt ihren Körper als Kapital sehen. Ihre Botschaft schreiben sie auf ein Schild und laden es ins Netz. Nun zieht die Lawine auch Anhänger aus MV mit sich.

Foto: Faye Sadou

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"Ich bin gegen die Vermittlung von unrealistischen Körperidealen. Schönheit ist in allem und jedem zu finden und darf deswegen nicht auf einen "Typ" Mensch reduziert werden."

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Braune Locken, rote Lippen und ein Armband, auf dem „Pizza“ steht: Schülerin Julia Preuße (17, r.) aus Rostock ist eine der Anhängerinnen. „Ich bin #NotHeidisGirl, weil ich nicht für ein Schönheitsideal hungern möchte.“ Heidi Klum? Bekommt kein Foto von Preuße. „Sie ist unsympathisch. In Interviews wird sie immer überbelichtet, damit man auch ja keine Falte sieht“, sagt sie.

Auch die angehende Lehrerin Jessica Daborer (23) aus Rostock stellt sich gegen Heidi: „Sie ist eine Selbstdarstellerin und vermittelt die Botschaft, dass Schönheit vom Gewicht abhängt – und das stimmt nicht.“

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Das Problem: Eine 23-Jährige wie Daborer kann die Sendung reflektieren. Frisch pubertierende Mädchen können das nicht. Das Internationale Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) hat in einer Studie herausgefunden:
Viele Mädchen sind nicht zu dick, haben aber das Gefühl – und der Anteil dieser Mädchen ist bei GNTM-Zuschauerinnen „signifikant höher“. Besonders ausgeprägt sei das Phänomen bei Zehn- bis Dreizehnjährigen.

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Die Autorinnen der Studie appellieren an Mütter, ihre Töchter aufzuklären. Der Verantwortung ist sich die Rostockerin Franziska Krakow (28) gegenüber ihrer dreijährigen Tochter Eva bewusst. „Jedes Mädchen ist schön so wie es ist. Das versuche ich meiner Tochter jetzt schon beizubringen”, erklärt sie. „Die Botschaft kommuniziert die Sendung nicht.“

Stattdessen werde Magerwahn unterstützt und normal schlanke Frauen als „curvy models” bezeichnet. Krakow meint etwa Kandidatin Sarah (18), die mit Größe 38 wie eine Außenseiterin behandelt wird.

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Was halten Sie vom bei GNTM propagierten Schönheitsideal und wie schätzen Sie die Auswirkungen auf junge Zuschauerinnen ein?

Elizabeth Prommer: Das Internationale Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) hat in einer Studie festgestellt, dass junge Mädchen durch solche Sendungen ein unrealistisches Schönheitsideal bekommen. Ein Ergebnis war auch, dass nur eine von 40 000 Frauen vom Körperbau her geeignet für Supermodel-Maße ist. Das heißt: In Rostock gibt es nur fünf Frauen, die an der Show teilnehmen könnten. Eine solche Sendung führt dazu, dass wir denken, die Maße wären normal – das sind sie aber nicht.

An unserem Institut haben wir außerdem herausgefunden, dass es schon im Kinderfernsehen anfängt: Drei Viertel der weiblichen Figuren, zum Beispiel Prinzessin Lillifee, sind so dünn, wie es anatomisch gar nicht möglich ist. Auch Kinderfigur Heidi ist sechs Jahre alt und besitzt eine Taille. Die bekommt man aber erst ab der Pubertät.

Neben dem propagierten Schönheitsideal finde ich das Bild, wie Frauen funktionieren müssen, viel problematischer. Es wird suggeriert, dass Frauen sich immer anstrengen müssen, um zu gefallen. Frauen sollen klug sein, sich engagieren, aber sollen keinen eigenen Willen haben. Denn: Sie müssen sich nackt zeigen und auf Einhörnern reiten, auch wenn sie schon 20 Jahre alt sind. Alles auf Knopfdruck, und trotzdem ist es nicht genug.

Die Studie vom IZI sagt auch, dass besonders Mütter sich mit ihren Töchtern auseinandersetzen sollten, wenn sie die Sendung schauen. Machen Sie das selbst auch?

Meine zwölfjährige Tochter guckt sich die Sendung auch an und ich sehe es als meine mütterliche Pflicht, dabei zu sein. Ich habe schon mehrmals mit ihr über das Thema gesprochen und mittlerweile schon Redeverbot während der Sendung. Sie sagt dann immer: „Mama, ich weiß, dass du das nicht gut findest.“

Warum schauen sich junge Frauen die Sendung an, auch wenn sie sich mit der #NotHeidisGirl-Bewegung solidarisieren – und finden Sie die Bewegung so sinnvoll?

Aufgrund der Peer-Pressure (Gruppenzwang, Anm. d. Red.) wollen junge Mädchen mitreden und auch mal lästern können. Außerdem kann man sich auch der Faszination nicht entziehen. Menschen, die Medienangebote rezipieren, sind außerdem der Auffassung, dass sie solche Inhalte mit einer Distanz konsumieren und dass die bei ihnen nichts bewirken. In der Medienwissenschaft nennen wir das Third-Person-Effect. Wir sind aber alle Teil des Systems und finanzieren die Sendung, indem wir sie schauen und die beworbenen Produkte kaufen.
Konsequenter wäre natürlich, wenn man Germanys Next Topmodel kommerziell boykottieren würde. Aber ich finde es gut, wenn man mit einem Hashtag anfängt, das Thema zu reflektieren und kritisch zu sein. Dadurch entsteht ein Diskurs.







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„Echte Frauen haben Kurven“: Dieser Spruch kursiert seit Jahren im Netz und soll ein Zeichen gegen Size-Zero-Wahn setzen. Pseudo-moralisch, findet Rostockerin Lina Knaack (20): „Echte Frauen sind einfach nur das: Frauen. Egal ob mit Kurven oder ohne. Man muss bedenken, dass manche für Dünn- oder Dicksein nichts können.“


Knaack findet Vielfalt wichtig. Deshalb kann man „echte Frauen“ auch nicht definieren.

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Interview von Karolin Hebben

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Heulkrämpfe, abgeschnittene Haare und Verzicht auf Essen: Jule Telzerow (22) war zwar nur eine Minute lang Kandidatin bei der Casting-Show Germanys Next Topmodel (GNTM). Trotzdem hat sie bereits in Kurzform alles erlebt, wofür die Sendung bekannt ist. Im OZ-Interview spricht die Rostocker Lehramtsstudentin über ihre kurze, aber einprägsame Erfahrung und warum sie sich trotz Teilnahme der Gegenbewegung #NotHeidisGirl anschließt.

Wie bist du dazu gekommen, beim GNTM-Casting mitzumachen?
Jule Telzerow: Ich war 2013 mit meinem damaligen Freund in Berlin unterwegs. Zufällig haben wir durchs Internet mitbekommen, dass das Casting gerade in der Nähe stattfindet. Genau wie ich in meinem Leben mal einen Fallschirmsprung machen will, wollte ich auch schon immer mal dort mitmachen – einfach, um sagen zu können, ich habe es versucht. Freunde haben auch immer Scherze gemacht, dass ich mitmachen soll, weil ich so groß bin. Also bin ich hingefahren.

Du hast also improvisiert?

Ich hatte zufällig ein schwarzes Top drunter, so wie sie es wollten, und eine einfarbige Jeans. Ich weiß nicht mehr, warum, aber zufällig hatte ich sogar hohe Schuhe dabei. Zuerst musste ich mich noch einmal online bewerben, dann habe ich mich auf der Toilette schick gemacht. Ich wurde mit vier anderen Mädchen vor die Jury geschickt. Als ich die anderen aus meiner Gruppe sah, dachte ich mir: Okay, die haben alle gefühlt drei Wochen lang nichts gegessen und ich habe gerade vier Chickenburger verdrückt.

Wie lief das Casting ab?

Wir wurden vor eine Jury geschickt. Da war natürlich noch nicht Heidi dabei und auch sonst keiner, den man kennt – in Vorrunden ist das ja immer so. Wir sind da reingestöckelt, und ich weiß noch, dass ich die Zweite war. Wie man es aus dem Fernsehen kennt, mussten wir uns auf eine Markierung stellen, uns vorstellen, uns ein paar mal auf der Stelle drehen – und dann hieß es: „Nee, ihr seid nicht dabei.” Und schon war meine GNTM-Erfahrung wieder vorbei – nach nur einer Minute.

Warst du enttäuscht, dass es nicht geklappt hat?

Nein, es war okay. Drei von den vier anderen aus meiner Gruppe sind aber direkt zusammengebrochen. Heulkrampf, die ganze Palette. Ich habe die Mädels getröstet und gefragt, warum sie so reagieren. Sie sagten mir, sie hätten eine Woche kaum was gegessen und sogar auf Pizza verzichtet. Sie waren so am Boden zerstört, dass sogar ein Mitarbeiter kommen musste.

Wie ist der Mitarbeiter mit den weinenden Mädchen umgegangen?

Er hat erst mal genau wie ich gefragt, was los ist. Ich kann mich erinnern, dass eine ihm dann erzählt hat, dass sie sich sogar vorher die Haare abgeschnitten hat, damit es nicht beim Umstyling in der Sendung gemacht werden muss. Der Mitarbeiter war sehr nett: Er hat uns gesagt, dass wir bildschön sind, aber eben nicht das, was sie suchen.

Würdest du noch mal teilnehmen?

Sie tun manches dafür, um so zu tun, als ob der Magerwahn bei GNTM nicht mehr angesagt wäre. Aber wenn man sich die Mädels anschaut, sieht man: Die tragen doch alle Größe S. Da ich Sportlerin bin und auch viele Muskeln habe, würde ich da sowieso nicht reinpassen.
Ich bin nicht so der Mensch, der sich so einem Konkurrenzkampf mit Rivalinnen stellt. Ich kann mich noch daran erinnern, dass in einer Folge mal ein Shooting war, für das den Kandidatinnen Jeanshosen hingelegt wurden, die alle eine Größe hatten. Ich glaube, das war eine 27 – da komme ich vielleicht maximal mit meinem rechten Bein rein, aber das war’s dann auch schon. Außerdem würde ich nie auf Pizza verzichten – so wie meine Mitstreiterinnen 2013.

Warum schließt du dich der Bewegung #NotHeidisGirl an, wenn du mal mitmachen wolltest?

Meine Teilnahme war eine spontane Aktion und eigentlich eher ein Scherz. Ziel war nicht, weit zu kommen, sondern die Erfahrung zu machen, bei so etwas dabei zu sein.

Schaust du dir die Sendung trotzdem an?

Ja, um zu sehen, wie die Produktion entsteht und wie das gefilmt wird, was ich selber am Anfang miterlebt habe. Typisch Frau ist auch, dass ich mir gerne ansehe, wer da mit wem Krieg führt. Mich interessiert außerdem, welches Product Placement die Sendung macht – neu ist jetzt ein bestimmter Tee. Das Umstyling ist auch spannend.

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GNTM beherrscht das Handwerk: Sogar Kandidatin Betty Taube, die 2014 Viertplatzierte wurde und wegen ihrer Bodenständigkeit zum Zuschauerliebling avancierte, hat die Vorgaben der Klum’schen Gewichtspolizei aufgesogen:

Jüngst verkündete sie, nach GNTM zehn Kilo zugenommen zu haben und sich „voll fett“ zu fühlen – dabei wiegt sie laut Medienberichten bei einer Größe von 176 Zentimetern nur 53 Kilo. Was viele nicht wissen: Taube war bereits in Staffel acht in den Top 25 und stieg aus, um sich auf ihr Abitur zu konzentrieren. Sie wurde aus der Sendung geschnitten. Bildung ist offenbar nicht angesagt bei GNTM.

Foto: Imago

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Das IZI ermittelte außerdem, dass die meisten Mädchen an GNTM das gesellschaftliche Schönheitsideal festmachen. „Ich weiß, wie es ist, diesem Ideal nicht zu entsprechen”, sagt Lea Marie Schäwel (16) aus Rostock. Kürzlich hat sie selbst fast 27 Kilo abgenommen.

Wegen der Sendung habe sie das allerdings nicht getan: „Ich hätte das niemals wegen des Gesellschaftsbildes gemacht, da ich Freunde habe, die mich so nehmen, wie ich bin”, so Schäwel. „Ich wollte es selbst und mein Gewicht hatte gesundheitliche Folgen.“ Und überhaupt, habe GNTM gar nicht das Recht, Schönheit zu definieren, findet Rostocker Schülerin Charlene Gawlik (17). Das habe niemand. Schönheit ist subjektiv – und das ist auch gut so.

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„Ich finde es toll, wie engagiert diese jungen Mädels sind. Trotzdem bin ich nicht ihrer Meinung. Heidi Klum verlangt nicht von jeder jungen Frau Modelmaße. Sie verlangt sie nur von den Teilnehmerinnen der Model-Castingshow. Die Regeln des Modelbusiness hat nicht Heidi aufgestellt, sondern die Branche – und eben wir Endkunden, weil uns das so gefällt. Es ist nicht verwerflich, wenn sie Models nach Aussehen und Figur bewertet. Das ist verdammt noch mal ihr Job, gut auszusehen. Oder ist es verwerflich, wenn ein Bäckermeister seinen Lehrling nach seinem Handwerk beurteilt?“

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Übersicht

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Kapitel 1

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Kapitel 2

Imago st 0313 09500001 82259897
Kapitel 3

Fine
Kapitel 4

Jessyyyjulia
Kapitel 5

8642455
Kapitel 6

Franzi
Kapitel 7

Dpa 1496de00452886e4
Kapitel 8

Linaa
Kapitel 9

Jule
Kapitel 10

Betty
Kapitel 11

Lea
Kapitel 12

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